Kein Aprilscherz, schließlich ist jetzt Oktober: Ungarn plant die Einführung einer Internetsteuer. 150 Forint pro Gigabyte, das sind 47 ct. Marketingtechnisch eine Ungeschicklichkeit, ich hätte vermutlich eine Steuer von 0,50 ct. pro MB genommen. Oder warum nicht gleich 0,000000005 Euro pro Byte? Der internationale #Aufschrei wäre leiser. So aber hört man allerorten, die Ungarn seien auf dem Weg in die Steinzeit und das sei eine unsinnige Steuer und überhaupt sei das das Ende des Internet und ähnliche sachliche Beiträge.
Bevor man zu einer pauschalen Kritik Ungarns kommt, sollte man sich vielleicht zunächst das ungarische Steuersystem anschauen. Die Ungarn haben nämlich einen saftigen Mehrwertsteuersatz, den höchsten in Europa: 27 Prozent! Also noch rund 50% mehr als wir. Dafür haben sie aber absolut attraktive Einkommenssteuern, derzeit beinahe flat 16% und demnächst 10%. Die umstrittene Internetsteuer soll etwa 20 Milliarden Forint bringen, das sind also 60 Mio. Euro. Viel ist das nicht, aber immerhin pro (ungarischer) Nase 6 Euro. Pro Jahr.
Dennoch geht der Shitstorm los, der Fall ist beispielsweise für die “taz” klar – die Fidesz-Partei von Viktor Orbán will dem Internet den Hahn abdrehen und die Informationsfreiheit bedrohen. Die Begründung ist einfach, Orbán ist böse, wie jeder weiß, und die Ungarn sind eh ein Hochsteuerland, da alle Leute 16% Steuern bezahlen. Damit zeigt die “taz” auch, daß ihr durchaus bewusst ist, daß in Deutschland die meisten Leute weniger als 16 Prozent bezahlen, obwohl es durchaus Leute gibt, die erheblich mehr aufbringen müssen und damit also den Löwenanteil der Finanzierung des Landes tragen. Merkwürdig unbeeindruckt ist die “taz” zudem von der Existenz einer ungarischen Finanztransaktionssteuer, die zwar von Experten überwiegend abgelehnt wird, die aber häufig schon in der “taz” gefordert worden war.
Und die Bedrohung der Informationsfreiheit? Das ist natürlich Quatsch. 6 Euro im Durchschnitt machen niemand arm – wer sich sich wirklich nur informiert, der kommt sogar mit unter 50ct. durch das Jahr. Teuer werden ganz andere Nutzungen, beispielsweise der Download von Filmen oder Musik, legal oder illegal, aber auch automatische Softwareupdates. Ein frisch installierter Rechner von Apple oder Microsoft, der das erste mal das Internet sieht, genehmigt sich gleich ein paar GB, zum warm werden.
Drehen wir den Spieß um: Die Steuer ist auf den ersten Blick gut. Sie trifft alle gleichermaßen, die sich in Ungarn aufhalten, ist also gerecht. Sie ist nicht zu umgehen im Sinne von Hinterziehung, wohl aber zu vermeiden, etwa durch Konsumbeschränkung. Die Kontrolle dieser Steuer ist vermutlich weniger entwürdigend als die Frage, ob Boris Becker wirklich 180 Tage in seinem Bett in Monaco liegt. Die Gesamtsteuerbelastung eines Ungarn dürfte erheblich niedriger sein als bei uns – und viel gerechter. Einer Konsumsteuer wie Mehrwertsteuer, Energiesteuer oder eben Internetsteuer kann sich keiner entziehen, und sie ist sogar sozial, denn wer mehr konsumiert, zahlt auch mehr. Das leuchtet sofort ein, viel mehr als die dürre Begründung für eine Einkommensteuer, die ausschließlich Arbeitskraft besteuert und zwar komplett anders als Kapitalerträge, Gewinne oder Zuflüsse aus Erbschaften oder Schenkungen. Das war noch nie logisch und noch nie gerecht.
Und nun: Die Volte
Die Steuer ist dennoch Unsinn, aber einfach nur aus technischen Gründen. Gehen wir davon aus, daß Traffic gerechnet wird wie bei uns in Deutschland, also eingehender Datenverkehr plus ausgehender. Dann wird das die Internetwirtschaft außer Landes treiben – 50 ct. pro GB sind bei großen Servern mehr als die Kosten, die an den Provider zu bezahlen sind. Da lohnt es sich, im Ausland zu hosten. Umgekehrt “verbrauchen” wir alle derzeit Internettraffic an Stellen, wo es uns nicht wirklich bewusst ist. Eine Youtube-Session kommt schnell darüber, Mail eher nicht. Ein Film auf iTunes kostet schnell einen Aufpreis von über einem Euro, in HD sind es drei. Wer sich zeitversetzt in der Mediathek Filme ansieht, zahlt drauf und bemüht sich dann doch in Zukunft, wieder um 20:15 den Anfang des Films nicht zu verpassen oder ihn auf Band oder Festplatte mitzuschneiden. Volkswirtschaftlich kein Gewinn, reines Steuervermeidungsverhalten ohne weiteren Sinn.
Softwareupdates könnten irgendwann wieder wirtschaftlich über CD distribuiert werden, das wäre wirklich ein Rückschritt, und last but not least müsste man bei der Telefonie auf die Technik des späten zwanzigsten Jahrhunderts zurückfallen. Noch entscheidender aber wäre die Tatsache, daß an vielen Stellen gar nicht mehr mitgeloggt wird, wer wieviel Traffic macht. Üblich sind heute Pauschalen, besonders im Verbraucherbereich. Anbieter im Internet ab einer gewissen Größe haben typischerweise Tarife, bei denen die obere Auslastung der Leitung gemessen wird abzüglich der Ausreißer im Spitzenfeld, die sogenannte Perzentilenmethode, ein Providerwort, das Sie getrost wieder vergessen können, solange es klar ist, daß man da keine Bytes zählt. Auch keine Milliarden davon, also Gigabytes.
Dies alles zeigt, daß die Nachteile dieser Steuer überwiegen, da sie zu unerwünschten Vermeidungsstrategien führen könnte. Ich empfehle einfach geeignetere Konsumartikel, von mir aus Shampoo und Schampus, oder besser Kosmetik/Chemie und Luxusimportware. Natürlich dann und nur dann, wenn das Versprechen auf eine Senkung der Einkommensteuer nicht gebrochen wird.
Daß wir übrigens auch eine Art Internetsteuer in Deutschland haben, interessiert niemanden: Die EEG-Abgabe, also die Steuern aus dem “Erneuerbare-Energien-Gesetz” belasten natürlich die Nutzer des Internet in Deutschland, zumindest indirekt, wenn die Provider bei der Berechnung der Endverbraucherpreise die Kosten einfließen lassen. Oder wenn Internetangebote natürlich auch die Hostinggebühren wieder einspielen müssen. Aber wir wollen ja Frau Merkel und Herrn Orbán nicht vergleichen, niemand will in Deutschland die Informationsfreiheit beschränken.
Oder?